Projektvorgehen

Die digitale Barrierefreiheit ist eine Qualitätsanforderung, die von den öffentlichen Stellen des Bundes gesetzlich verpflichtend umgesetzt werden muss. Diese Qualitätsanforderung bzw. nicht funktionale Anforderung muss von Anfang an mitbedacht werden, genauso wie die IT-Sicherheit oder die Performance als weitere Qualitätsanforderungen an eine Software. Sie ist ein Ergebnis von gutem Design der Oberflächen, sachgerechter Programmierung und konsequenter Nutzerorientierung. Eine  nachträgliche Ergänzung von Barrierefreiheit in fertige IT-Lösungen geht – falls überhaupt machbar – mit hohen Kosten einher. Daher müssen die Projektverantwortlichen die digitale Barrierefreiheit im Projektvorgehen integrieren und in allen Projektphasen von Beginn an berücksichtigen.

Vor Projektbeginn

Die Barrierefreiheit ist bereits vor Projektbeginn in der Planung des Vorhabens zu berücksichtigen. Für einen Barrierefreiheitstest mit einer üblichen Dauer von ca. ein bis drei Wochen müssen die notwendigen Personalressourcen und Haushaltsmittel eingeplant werden. In der detaillierten Projektplanung sollte festgelegt werden, in welchen Iterationen oder zu welchen Meilensteinen die Barrierefreiheit geprüft wird.

Häufig wird vor der eigentlichen Projektdurchführung auf Basis der wesentlichen fachlichen Anforderungen eine grobe Skizze der zukünftigen IT-Lösung erarbeitet. Schon in dieser Phase sollte beachtet werden, dass die anvisierte IT-Lösung die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllt.

Im Anforderungsmanagement

Für eine zu realisierende oder zu beschaffende IT-Lösung müssen neben den fachlichen Anforderungen auch die Anforderungen an die digitale Barrierefreiheit aufgenommen werden. Diese Anforderungen können Sie sich mit dem Standardanforderungskatalog zusammenstellen.

Beim Vergabeverfahren zur Beschaffung einer Standard-Software

In den Vergabeunterlagen müssen die für die zu beschaffende Software relevanten Barrierefreiheitskriterien aufgenommen werden. Details können dem Vergabebaustein und dem Standardanforderungskatalog entnommen werden.

Beim Design einer zu realisierenden Software

Die Benutzeroberfläche, das User Interface, ist der Teil einer Software, der die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllen muss. Daher müssen beim Design der Oberfläche die Erfordernisse aller Benutzerinnen und Benutzer berücksichtigt werden. Selbstverständlich zählen auch die Oberflächen zur Administration oder Konfiguration zum barrierefrei umzusetzenden User Interface. Folgende Ratschläge können erste Orientierungspunkte sein:

  • Oberflächen sollten gut strukturiert und nicht überladen sein.
  • Die Benutzerführung sollte intuitiv verständlich sein.
  • Die Sprache sollte sich an der Sprache der Zielgruppe orientieren.
  • Verwenden Sie Farben, die die Kontrastanforderungen erfüllen.
  • Die Oberflächenelemente benötigen eine ausreichende Größe.

Die Designerinnen und Designer sollten über Erfahrung im Bereich der digitalen Barrierefreiheit verfügen. Überprüfen Sie die Entwürfe der Oberflächen auch unter den Gesichtspunkten der Barrierefreiheit. Soweit ein Corporate Design z. B. in Form eines Styleguides zu berücksichtigen ist, müssen diese Vorgaben selbstverständlich konform zur Barrierefreiheit sein.

Bei der Auswahl der Technologien für die Entwicklung der Benutzeroberfläche

Softwarebibliotheken zur Realisierung von Benutzeroberflächen müssen eine barrierefreie Umsetzung prinzipiell ermöglichen. Nicht mit jeder modernen und optisch ansprechenden Oberflächenbibliothek können die Anforderungen an die Barrierefreiheit vollständig erfüllt werden. Eine Optimierung einer Bibliothek hin zur vollständigen Barrierefreiheit, sofern das technisch möglich ist, erfordert häufig einen hohen Entwicklungs- und Testaufwand. Daher prüfen Sie bei der Auswahl der Bibliotheken, inwieweit die Anforderungen der digitalen Barrierefreiheit umgesetzt werden können.

KoliBri (Komponentenbibliothek für die Barrierefreiheit) ist eine solche Bibliothek, die alle gängigen Oberflächenkomponenten in barrierefreier Form als Open Source Software bereitstellt. KoliBri wurde im ITZBund realisiert und wird dort zusammen mit der Open Source Community weiterentwickelt. Die Komponenten können an jedes beliebige Corporate Design von Behörden oder Unternehmen angepasst werden.

Bei der Realisierung

Um dem Realisierungsteam früh Feedback zur tatsächlichen Umsetzung der Barrierefreiheit geben zu können, sollten bereits die ersten bedienbaren Softwarebestandteile einem vollständigen Barrierefreiheitstest unterzogen werden. Dieser überprüft alle Anforderungen der Barrierefreiheit. Auf diese Weise kann das Entwicklungsteam frühzeitig aus noch bestehenden Mängeln lernen, um sukzessive die Qualität der Benutzeroberflächen zu verbessern. Entwicklungsbegleitende Barrierefreiheitstests fördern den Erfahrungsaufbau im Team. Ohne ausreichendes Wissen ist eine barrierefreie Umsetzung nicht möglich. Je eher Barrieren entdeckt und behoben werden, umso kleiner wird das Risiko für Folgebarrieren, die nur mit einem hohen zeitlichen Aufwand und damit hohen Kosten behoben werden können.

Bei Nutzung von Komponentenbibliotheken, die die Barrierefreiheit bereits vollständig umgesetzt haben, wie zum Beispiel KoliBri, wird das Realisierungsteam bereits zur barrierefreien Umsetzung hingeführt.

Eine weitere Hilfestellung bei der Realisierung barrierefreier Benutzeroberflächen ist die Handreichung „Barrierefreie Gestaltung von User Interface Elementen“, die bei der Überwachungsstelle des Bundes (BFIT-Bund) veröffentlicht worden ist. Zu jeder gängigen Oberflächenkomponente, wie z. B. Textfelder, Radiobuttons oder Checkboxen, finden Sie alle zu erfüllenden Anforderungen an die Barrierefreiheit.

Beim Abnahmetest

Genauso wie IT-Lösungen hinsichtlich ihrer funktionalen Anforderungen getestet werden, muss auch die Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen in einem sogenannten produktorientierten Barrierefreiheitstest überprüft werden. Dieser Test muss von einer Person durchgeführt werden, welche über die notwendige Expertise verfügt. Wenn die Anforderungen an die Barrierefreiheit nicht vollständig erfüllt sind, stellt das einen Mangel der Software dar, der zu beheben ist.

Wartung und Pflege

Auch Weiterentwicklungen einer Software müssen die gültigen Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllen. Daher müssen im Entwicklungsprozess einer Folgeversion die gleichen, wie hier beschriebenen, Prozessschritte durchlaufen werden.

Best Practices

Beispielhaft sind hier die Vorgehensweisen der drei Herausgeber dieser Website vorgestellt:

  • Das Rahmendokument Barrierefreiheit für Maßnahmen in der Dienstekonsolidierung,
  • Der Barrierefreiheits-Navigator als Hilfestellung für Projektleitungen,
  • Das Vorgehen „Basis“ in Zusammenarbeit mit dem Datenschutz und der IT-Sicherheit im Land Hessen.